24. März 2021

Ohne Ochsentour in die Politik - Caroline Weimann im Interview

Z2X: Du bist Gründerin des Accelerators JoinPolitics, den Du vergangenes Jahr 2020 gemeinsam mit Philip Husemann ins Leben gerufen hast, um politische Talente mit Startkapital zu fördern. Was macht ein politisches Talent für euch aus?

Caro: Für mich sind politische Talente Personen, die große Fragen unserer Zeit erkennen und den Antrieb und die Fähigkeiten mitbringen, Ideen umzusetzen. Es muss erkennbar sein, dass die Person auch in unsicheren Zeiten Politik gestalten will und kann. Dazu gehört Mut, Begeisterungsfähigkeit, Umsetzungsstärke und Empathie. Wir glauben außerdem, dass ein Talent besonders gut ist, wenn es ein gutes Team hat. Daher fördern wir explizit bestehende Teams und Personen, die ein starkes Team aufbauen können.

Z2X: Worauf achtet ihr bei der Auswahl der Kandidat:innen?

Caro: Drei Kriterien spielen hier eine besondere Rolle: Die Persönlichkeit, die Idee und die Werteorientierung. Um die Persönlichkeit zu verstehen, fragen wir: Was motiviert die Person? Warum will sie in die Politik? Wofür steht sie? Welches Thema treibt sie an?

Zusätzlich ist die Idee natürlich entscheidend. Ist sie konkret und fassbar? Geht sie eine der großen Fragen unserer Zeit an? Ist die Idee wirklich politisch? Und der dritte Aspekt ist die Werteorientierung. JoinPolitics ist eine parteiübergreifende Organisation und vertritt selbst entschieden demokratische Werte wie Rechtsstaatlichkeit, Freiheit, Toleranz und Vielfalt. Uns ist wichtig, diese Werte auch in der bisherigen Arbeit und dem Vorhaben der Person zu erkennen.

Z2X: Beim Z2X20-Festival habt ihr JoinPolitics im Rahmen einer Frag-Mich-Alles-Session vorgestellt. Mit dabei war eines eurer ersten Talente, Susanne Zels, die ihr aktuell mit finanzieller Förderung und Mentoring unterstützt. Was hat euch an ihrer Idee überzeugt?

Caro: Susanne Zels hat uns überzeugt, weil sie für ein geeintes Europa brennt und kämpft. Ihre Initiative Werte Verbinden plant den Aufbau einer dezentralen EU-Organisation, um länderübergreifend auf europäischer Ebene gemeinsame Werte zu fördern. Gerade in der heutigen Zeit, geprägt von neu aufflammendem Rechtspopulismus und Verstößen gegen die Meinungsfreiheit, ist das Thema relevanter denn je, wird aber noch zu sehr von dem etablierten, politischen System vernachlässigt. Um diese Idee umzusetzen, mussten politische und zivilgesellschaftliche Akteure überzeugt werden. In dieser Mobilisierungs-Arbeit hat sie Stärke und Überzeugungskraft bewiesen, wodurch sie Unterstützer:innen im Europäischen Parlament und in zivilgesellschaftlichen Behörden gewinnen konnte.

Z2X: Den zweiten Durchlauf von eurem Auswahlprozess habt ihr gerade abgeschlossen. Welche neuen Talente haben es geschafft und werden in Zukunft von euch betreut?

Caro: Wir haben sehr viele Gespräche geführt und standen vor der Qual der Wahl. Insgesamt sind bei uns 113 Bewerbungen eingegangen. Nur vier Kandidat:innen können wir in dieser neuen Runde fördern und betreuen. Gerade veranstalten wir Kickoff-Workshops und lernen die Talente noch besser kennen. Drei von den vier Personen kandidieren in diesem Superwahljahr für den Bundestag bzw. Landtagswahl. Wir freuen uns über die thematische Vielfalt und haben ganz unterschiedliche Charaktere mit dabei:

Tiaji Sio (24) arbeitet aktuell im Auswärtigen Amt und hat dort bereits erfolgreich das Diplomats of Color Netzwerk (DoC) mitgegründet und aufgebaut. Diese ehrenamtliche Initiative setzt sich für mehr Diversität und Inklusion innerhalb des Auswärtigen Amts ein, in Form von digitalen Aufklärungs- und Weiterbildungsangeboten. So verknüpft Tiaji die Themen Digitalisierung und Diversität auf Ebene der Bundesregierung. Ihr Herzensthema ist die rassismuskritische Transformation in Ministerien und Behörden. Bei JoinPolitics hat sie sich daher mit ihrem sechsköpfigen Team beworben, das sich unter dem Namen Diversitry für mehr Vielfalt in Ministerien einsetzen will, für ein faires Personalmanagement, und rechtliche Grundlagen zur Etablierung von Diversitätsbeauftragten.

Luca Piwodda (21) hat mit 18 die Partei Freiparlamentarische Allianz (FPA) gegründet. Er kommt aus Gartz an der Oder und möchte eine Lösung gegen den extremen politischen Frust in seiner Heimatregion entwickeln. In Gartz stellt die FPA bereits die Bürgermeisterin. Luca versteht seine Partei als politisches Startup, das sich für mehr Beteiligung in politischen Prozessen und Entscheidungen einsetzt, wofür sie auch eine digitale Projektplattform aufgebaut haben. Mit der FPA bereiten sie sich gerade auf den Wahlkampf zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern vor, wo sie bereits in 13 von 36 Kreisen vertreten sind. Luca und seine Partei planen eine Listening Tour und Beteiligungskampagne im Vorfeld der Wahl, bei der die Sorgen und Wünsche der Menschen vor Ort aufgenommen werden sollen. Ihr Ziel sind 50.000 Stimmen zu gewinnen, damit Luca Piwodda in den Landtag gewählt werden kann.

Lu Yen Roloff (42) ist eine von sieben Kandidat:innen der Brand New Bundestag Initiative und möchte als parteiunabhängige Abgeordnete in den Bundestag gewählt werden. Als Journalistin und ehemaliges Mitglied von Extinction Rebellion hat sie gemerkt, dass es gut ist, auf die Straße zu gehen, aber mehr von uns in die Politik müssen, um noch mehr zu bewegen. Daher wagt sie den Sprung in Potsdam als freie Kandidatin ohne Partei zur Bundestagswahl und will das Direktmandat gewinnen. Lu Yens Herzensprojekt ist das Klima mit Fokus auf das 1,5-Grad-Ziel. Mit Olaf Scholz (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Linda Teuteberg (FDP) hat sie bekannte Konkurrenz. Lu Yen setzt aber auf ihre Erfahrung in der Community-Arbeit und ist überzeugt, wenn man sich organisiert, kann man auch gewinnen. Ihr Motto: einfach machen.

Verena Hubertz (33) kommt aus der Startup-Welt und hat erfolgreich die Koch-App ‘Kitchen Stories’ aufgebaut. Sie brennt für die Politik und will ihre Vorerfahrung im Bereich Innovationen in politische Sphären tragen und dort vorantreiben. Ihr Ziel: Das große Rentenproblem lösen. Durch die Förderung von JoinPolitics erarbeitet sie nun gemeinsam mit Stefan Bösl ein Konzept für einen neuen Zukunftsfonds. Dieser soll junge innovative Unternehmen aus Deutschland an die Weltspitze führen und dabei vor allem gemeinwohlorientiert sein, in dem die Rentenkassen beteiligt sind und somit die Rentner:innen an den Unternehmenserfolgen beteiligt sind. Verena kandidiert dieses Jahr ebenfalls für den Bundestag und tritt für die SPD in Trier an.

Z2X: Gerade noch selbst gegründet, unterstützt ihr nun andere Gründerinnen und Gründer auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Woher nehmt ihr das Know How, die politischen Projekte zu beraten?

Caro: Das ist definitiv eine Herausforderung, weil wir selbst ein super kleines und schlankes Team sind. Das starke Netzwerk an Mentor:innen bei JoinPolitics hilft uns aber enorm. Unsere sogenannten „Fellows“ kommen aus der Politik, Zivilgesellschaft oder haben bereits selbst gegründet und bringen unterschiedliche Perspektiven mit. Mit dieser Task Force können wir unsere Talente herausfordern und nach vorne bringen. Auch der überparteiliche Aspekt ist hier wieder wichtig, um unterschiedliche Perspektiven aus den Kandidat:innen herauszukitzeln und zu fördern. Zusätzlich haben wir Personen in unserem Netzwerk, die aus Parteien kommen und dadurch gezielt Türen öffnen können, wenn ein Vorhaben unserer politischen Talente das erfordert. Wir sind auch selbst immer wieder positiv überrascht, wie viel ehrenamtliche Unterstützung wir erfahren. Als Partnerorganisation ist hier zum Beispiel Project A mit dabei, wenn unsere Kandidat:innen Hilfe bei der Umsetzung einer Website oder eines Prototypen benötigen. Mitarbeiter:innen von Project A bieten pro bono ihre Zeit und ihr Wissen an, um zum Beispiel bei den Themen Branding oder Produktentwicklung zu unterstützen. Mit im Netzwerk haben wir außerdem Expert:innen, die den Teams auf emotionaler und zwischenmenschlicher Ebene zur Seite stehen. Unsere Fellows beraten die Teams und begleiten den Gründungsprozess zum Beispiel durch Führungs-, Kommunikations- und Diversity-Trainings, Speech Writing oder Campaigning.

Z2X: Warum war es Zeit für eine Initiative wie JoinPolitics? Sollte das nicht Aufgabe des politischen Systems selbst sein, die eigenen Talente zu fördern?

Caro: Man kann gar nicht genug für Talentförderung in der Politik tun. Die Mitgliederzahlen in den Parteien gehen immer weiter zurück. Junge, diverse und weibliche Menschen sind komplett unterrepräsentiert. Das wissen die Parteien auch, wir stehen mit vielen Politiker:innen dazu im Austausch. Ein Problem ist die wachsende Komplexität an drängenden Themen, die von der Politik viel abverlangen. Der Job als Politiker:in wird immer härter. Wenn man in der Öffentlichkeit steht, ist man zunehmendem Hass im Netz ausgesetzt, der sich gegen die eigene Person oder das Amt richtet, das man inne hat. Gleichzeitig brauchen wir genau deshalb und genau an dieser Stelle neue politische Talente, die ein komplexes Profil mitbringen. Was aktuell für die Talentförderung getan wird, reicht nicht. Es braucht zusätzliche Angebote wie JoinPolitics. Wir müssen mehr Talente zum politischen Handeln ermutigen. Parteien, bzw. das etablierte politische System muss mehr Nachwuchs scouten und die Strukturen so verändern, dass sich junge, diverse und weibliche Menschen darin wohl fühlen. Aktuell sind diejenigen, die sich überhaupt in die Politik trauen, häufig auch schnell wieder raus. Die Rekrutierungs- und Karrierestrukturen in Parteien müssen sich verändern. Ich wünsche mir, dass wir auch mal wegkommen von der Ochsentour, hin zu Parteien, die sich auch für Quereinsteiger:innen und neue junge Menschen öffnen.

Ich hoffe, dass wir mit JoinPolitics einen gewissen Impuls von außen setzen können. Es braucht manchmal auch einfach externe und überparteiliche Räume, wo sich Talente ausprobieren, wo sie ihre Ideen testen können und auch mal scheitern dürfen. In etablierten Strukturen ist das oft keine Option.

Z2X: Seit kurzem reiht ihr euch in unsere Friends of Z2X ein, die der Z2X-Community beratend zur Seite stehen. Mit welchen Fragen darf man auf euch zukommen?

Caro: Wir verstehen uns als Sparringspartner für die Entwicklung von Ideen und Strategien. Jedes halbe Jahr werden wir Bewerbungen für neue politische Talente bei JoinPolitics entgegennehmen. Wer das hier liest und sich angesprochen fühlt, kann sich einfach bei uns melden, um die eigene Idee in einem ersten Gespräch zu testen. Alle sind herzlich eingeladen, sich zu bewerben und uns auch außerhalb der Bewerbungsphasen zu kontaktieren. Wir unterstützen gern mit ersten Tipps oder bei der Vernetzung mit anderen Expert:innen. Jede und jeder kann sich bei uns melden, sofern eine konkrete Idee bereits formuliert wurde und man überlegt, damit politisch etwas zu bewegen. Wir helfen beim Schärfen dieses Vorhabens und der strategischen Planung der nächsten Schritte. Einmal im Monat gibt es per Zoom eine Sprechstunde, zu der man sich per E-Mail info@joinpolitics.org anmelden kann. Den nächsten Sprechstundentermin geben wir jeweils auf Instagram, Twitter, Linkedin und im Newsletter bekannt.

Die Friends of Z2X unterstützen neue Visionär:innen aus der Z2X-Community mit ihren Netzwerken, Weiterbildungsprogrammen, Mentorinnen und Plattformen und helfen ihnen, ihre Ideen weiterzuentwickeln. Hier bekommst Du einen schnellen Überblick über die Arbeit und Programme der Friends, wie sie Dich unterstützen können und direkte Ansprechpartner.

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